• +++ Das THINK TANK STADE Team bedankt sich bei allen Beteiligten. Anfang November erscheint die dokumentierende Broschüre zum Projekt +++

THINK TANK AUSSER HAUS im Friseursalon Rietentiet in der Bremervörder Straße, 19.09.18, nachmittags

Die erste Kundin, mit der ich im Salon Rietentiet ins Gespräch komme, begleitet ihre beiden Kinder, die die Haare geschnitten bekommen. Nach Stationen in Düsseldorf, Berlin, Hamburg und Kalifornien wohnen sie inzwischen im Alten Land. Eigentlich habe sie schon gerne in Großstädten gewohnt, hier jedoch gebe es gerade für junge Familien eine hohe Lebensqualität – und eine gute Infrastruktur aus Schulen und den, wie sie sagt, „wichtigen Dingen eben“. Natürlich müsse sich Stade wie alle Orte in der Geschäftsstruktur, speziell im Einzelhandel, umstellen, um dem Online-Handel die Stirn bieten zu können. Wenn sie Besuch habe, gerade aus den USA, würden ihre Freunde sie immer fragen, ob Stades Innenstadt eine Art Museum sei. Dies spräche ja irgendwie auch für die Stadt, auch wenn der Frage ihrer Besucher gewiss anders gemeint sei. Ein wichtiges Zukunftsthema sei für sie, die Stadt für junge Menschen attraktiv zu gestalten.

Ich spreche mit einer Angestellten die im Salon ihre Ausbildung gemacht hat und seit insgesamt sieben Jahren hier arbeitet. Sie erzählt mir von den Dingen, die jüngere Kund*innen bewegen. Es gehe viel um die Wochenendgestaltung, „wo ist was los in der Stadt, wer kommt, wann geht es los?“, erzählt sie. Bezahlbarer Wohnraum sei ein ebenso großes Thema, bei zugezogenen Student*innen aber auch bei den „hiergebliebenen“ Stader*innen. Dennoch würde man den Bauboom sogar in ihrem Wohnort Hammah deutlich spüren und sehen. Bei der Gruppe der 18- bis 25-Jährigen sei doch häufig das eingeschränkte Freizeitangebot Gesprächsgegenstand, wie etwa fehlende Clubs und Discos in Stade. Dies sei wahrscheinlich auch ein Grund, warum so Wenige nach dem Studium zurückkehren würden. Bei den Themen der Zukunft gehe es oft um die persönliche Berufsausrichtung und das zu erwartende Einkommen. Sie sehe diesen Trend bei vielen jüngeren Erwachsenen, wie auch zu Hause bei ihren Geschwistern: Die Lebensentwürfe seien eng an Sicherheiten und Wohlstand geknüpft. Ältere Kund*innen sprächen auch über Politik sowie über die Probleme bzw. das Aussterben des Einzelhandels in Stade.

Schon von Außen eine Wohlfühloase, der Salon Rietentiet in der Bremervörder Strasse

Auch bei drei Lehrlingen aus dem ersten und zweiten Lehrjahr erfahre ich Einiges über ihr Lebensgefühl und das der jüngeren Kund*innen. Eigentlich brauche man die Großstadt mit ihren Angeboten doch selten, behauptet eine von ihnen. Stade oder Buxtehude seien bei Shoppingmöglichkeiten wie Freizeitangeboten Konkurrenten, das sei auch gut so. Einen Starbucks oder ein paar „hippe“ Geschäfte mehr könne man schon gebrauchen. Aber wenn man wie sie aus Horneburg oder wie die Kollegin aus Bützfleth komme, reiche das Angebot schon aus.

Trotz aller spürbaren Begeisterung für ihre Arbeit hier im Salon und trotz all der Vertrautheit und Vertraulichkeit zwischen Belegschaft und Kundschaft, seien die Themen eben nicht nur privat, erzählt man mir. Man spräche eben auch über Parklätze, die öffentliche Verkehrsanbindung und den Straßenausbau.

Eine Kundin ist froh, im Alten Land mit überwiegend netter Nachbarschaft zu leben. Nach den Besonderheiten der Altländer gefragt, erzählt sie von einigen zerrütteten Familien dort. „Die Alteingesessenen kriegen sich immer in die Kletten wenn es um’s Erben geht“, beschreibt sie die dortigen Verhältnisse. Nachgesagt würden den Altländern auch Sturheit. Das könne sie allerdings so nicht bestätigen. Auch stelle sie fest, dass sie sich immer häufiger auch nach Buxtehude orientiere, mit dem Stade ja irgendwie im Wettbewerb stehe. Zu den wichtigen Themen für die Zukunft zähle sie die Sicherung der Industrie in der Region. „Ein Kohlekraftwerk braucht man dafür aber bitte nicht!“, schränkt sie energisch ein. Als ich ihr unser Informationsblatt in die Hand drücken will und von der Website des THINK TANK erzähle, winkt sie ab. Nein, Internet habe und brauche sie nicht.

Jetzt hat Salonchefin Sabine Rietentiet einen Moment für mich Zeit. Sie habe den ganzen Tag über zwei beherrschende Themen mit ihren Kund*innen diskutiert. Eines war Schließung des Stader Traditionsunternehmens Floristik Glax, der Meldung des Tages im Lokalteil des Stader Tageblatts. Wie auch ihre Kund*innen halte sie dies für einen schweren Verlust für die Geschäftswelt Stades. „Glax ist eine Institution!“, sagt sie.

Sie als Geschäftsfrau mache sich zudem Gedanken über den Fachkräftemangel im Handwerk. Der zeige sich jetzt auch im Stader Einzelhandel – ein Thema, das bei den Diskussionen rund um den THINK TANK ja schon häufig angesprochen wurde. Ansonsten sorge heute die „Beförderungsentlassung“ von Hans-Georg Maaßen für einen heftigen und kontroversen Diskurs im Salon. Frau Rietentiet fasst die Meinungen des Tages so zusammen: Eigentlich sei die Beförderung nicht so schlimm, weil man überwiegend glaube, dass die für die Steuerzahler*innen „billiger kommt“ als eine Entlassung mit Abfindung.

Die letzte Kundin, mit der ich ins Gespräch komme, bedauert ebenfalls die Schließung des Blumenladens. Zudem bemängelt sie das mangelnde Fingerspitzengefühl der Politik beim Thema Straßenausbaubeiträge. Sie komme aus Schölisch, sei derzeit nicht direkt betroffen, solidarisiere sich aber mit ihren Nachbarn, da sie deren Bedenken und Proteste teile. Da sie direkt am Pferdemarkt bei der Stadtsparkasse arbeite, habe sie auch eine Meinung zum neuen Geschäftshaus in unmittelbarer Nachbarschaft. Dieses habe sie sich, wie viele Stader*innen, anders vorgestellt. Sie hätte gerne weniger Kettenläden und mehr Vielfalt und Individualität wie im ehemaligen Hertiekaufhaus. Allerdings fände sie das Lebensmittelgeschäft wichtig für die Innenstadt. Direkt am Pferdemarkt bereite ihr etwas anderes Sorgen: die vielen jungen Menschen mit Migrationshintergrund, die den Platz um die Kastanie herum nahezu „belagern“, wie sie es nennt. Sie fühle sich dadurch manchmal in ihrer eigenen Stadt fremd. Im Verlauf des Gesprächs sucht sie nach Gründen für die Ansammlungen. Sie mutmaßt, dass es mit dem WLAN-Hotspot zu tun habe – einem der wenigen in der Stadt.